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"Wilde 13" News / Serviervorschläge

Blog: 13 wilde Stories im Jahr (11/13)

People in the Sun, frei nach Edward Hopper

Eugen genoss die wärmenden Sonnenstrahlen, die von den Bergen am Horizont auf die Terrasse des Kurhotels schienen. Direkt vor seine Augen erstreckten sich endlose Felder, die kurz vor der Ernte standen. Der goldgelbe Schein des Weizens verstärkte die wohltuende Atmosphäre. Der Kuraufenthalt war etwas besonderes, den nur verdiente Mitarbeiter erhielten. Selbst beim Sonnenbad, in den Holzstühlen sitzend, zog man sich daher fein an. Er trug seinen hellgrauen Leinenanzug mit hellbraunen Slippern und weißen Socken. Die dunkle Krawatte war ordentlich unter dem frisch gestärkten Hemd gebunden. Er musste nur vorsichtig sein, dass er keinen Sonnenbrand auf dem Kopf bekam. Sein Haupthaar hatte sich schon vor Jahren von ihm getrennt. Nur ein dunkles Haarband um seinen Nacken blieb zurück. Eugen lächelte, er war froh ein paar Tage ausspannen zu dürfen. Weg von dem anstrengenden Alltag. Er liebte seine Arbeit, umso mehr freute er sich, dass er von seinem Vorgesetzten diesen Erholungsurlaub zugewiesen bekam. Für Fleiß und gute Arbeit. Neben ihm, in der ersten Reihe, saß Fräulein Herta aus Berlin. Eine sehr elegante junge Frau, etwa in seinem Alter. Sie war vom Zentralamt und trug einen breitkrempigen Strohhut mit orangem Seidenschal zu einem schlichten dunklen Kleid. Sehr elegant, und mit Manieren. Sie verbrachten die Tage zusammen beim Tennisspiel und mit ausgiebigen Spaziergängen. Die unbelastete Zeit in dieser herrlichen Landschaft tat allen gut. Weiter außen saß der Major, alter Adel aus Ostpreußen. Sein Haar und der volle Schnurrbart leuchteten Rot. Er war nur wenig älter als die Anderen und trug ebenfalls zivil. Neben ihm war die blonde Eva, ein junges Ding. Niemand konnte sich erklären warum sie diesen Vorzug genießen durfte. Sie war einfach nur da. In der zweiten Reihe, direkt hinter ihm hatte Albert Platz genommen. Ein eher ungewöhnlicher Mensch, trug Schal statt Krawatte, braunes Sakko zu grauer Hose. Redete kaum, meistens steckte er seine Nase in irgendwelche Bücher, wie jetzt eben. Ein Intellektueller. Der wollte sicherlich noch groß Karriere machen. Eugen brauchte keine Bücher, er wusste ganz genau was er wollte. In ein paar Jahren würde die Arbeit erledigt sein und die Lager werden geschlossen. Der Krieg wird zu ende sein. Dann würde er heiraten und Kinder zeugen. Vielleicht würde er die schwarze Uniform an den Nagel hängen. Das konnte er heute noch nicht sagen. Aber bis dahin musste noch viel Arbeit erledigt werden. Er machte sich keine Gedanken über die Aufgabe, die man ihm zugeteilt hatte. Die da oben würden schon wissen was zu tun war. Er hatte nur zu gehorchen. Eugen genoss den letzten Tag der Ruhe. Morgen würden sie wieder an ihre Standorte zurück reisen: nach Berlin, Dachau, Sobibor und Auschwitz. Dann würde er, wie gewohnt, die Ware Aussortieren. Die Arbeitsfähigen nach links, die anderen nach rechts, zu den Gaskammern. Die ganz Schwachen, die kaum noch laufen konnten, musste er sofort erschießen. Das verstand sich ja von selbst.

Von Günther Sigmund aus “Pocket Stories to Go”